Head of Regional Security and Conflict Studies at the Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation, Research Fellow at the London School of Economics and Political Science
Der Gipfel von Paris im Dezember 2019 sollte dem Verhandlungsprozess im Normandie-Format neue Dynamik verleihen und außerdem die Umsetzung des Minsker Abkommens intensivieren. Dennoch scheint es so, dass die Trilaterale Kontaktgruppe von Minsk auch in den fünf Monaten nach dem Gipfel der Normandie-Verhandlungsführer nicht in der Lage war, bedeutende Vereinbarungen zu treffen und greifbare Fortschritte zu erzielen. Ein weiterer Gipfel ist unter diesen Bedingungen einfach nicht möglich. Warum hat die Trilaterale Kontaktgruppe wieder einen Stillstand erreicht? Gibt es eine Möglichkeit, die Wege des Normandie-Formats und des Minsker Abkommens auf eine sinnvolle Weise zusammenzuführen? Wie sehen Russland und die Ukraine die Entwicklung der bisherigen Verhandlungen? Von Mariia Solkina
Die Ergebnisse der Telefonkonferenz zwischen den Außenministern im Normandie-Format am 30. April waren relativ konkret. Deshalb haben die Minister keinen Gipfel der Staatsoberhäupter vereinbart, sondern sich auf ein Vorantreiben der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe verständigt. Nach dem Gipfel von Paris sollte eine Reihe dringender Maßnahmen umgesetzt werden. Keine davon ist politisch. Die Entscheidungen in Sicherheits- und humanitären Fragen müssen den Hintergrund für den Übergang zu den politischen Vorkehrungen der Minsker Abkommen schaffen. Tatsächlich wurde keine dieser unmittelbaren Maßnahmen vollständig umgesetzt. Insbesondere beziehen sie sich auf solche Aufgaben wie einen vollen Waffenstillstand, einen Minenräumungsplan, die Vereinbarung dreier neuer Abzugsgebiete, die Einrichtung neuer Übertrittspunkte sowie die uneingeschränkte Arbeit der OSZE-Sonderbeobachtungsmission. Selbst der Austausch Gefangener, der nach dem Pariser Gipfel zwei Mal stattgefunden hat, war einseitig und fand nicht auf gleicher Basis statt – und kann dadurch auch nicht als greifbarer Fortschritt gewertet werden.
Deshalb sollten die Außenminister die Probleme bei der Umsetzung von Vereinbarungen nach dem Pariser Gipfel „filtern“ und der Arbeit der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe einen Impuls geben. Laut dem Außenminister der Ukraine wären die Minsker Gespräche effektiver, wenn die Teilnehmer am Normandie-Format diesem taktischen Prozess „näher“ wären, ihn beobachten und beeinflussen könnten. Obwohl auch diese Telefonkonferenz keine ernsthafte Wirkung für eine Aktivierung der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe gebracht hat, so gibt es doch einige wichtige Signale. Sie tragen zum Verständnis dazu bei, wie die Beteiligten sich verhalten werden.
Gründe für das Ministertreffen und unsichtbare, aber wichtige Ergebnisse
Erstens, eine engere Einbindung von Diplomaten in die Verhandlungen reduziert das Risiko einer versteckten Logik informeller Deals mit Russland. Der informelle Kanal unter der Führung von Andrij Jermak auf ukrainischer Seite hat die beinah dominierende Rolle in den Verhandlungen mit Russland seit der Amtsübernahme von Präsident Selenskyj übernommen. Der Konsultativrat, eine sehr risikoreiche Initiative, war ebenfalls eine Idee, die hauptsächlich aus diesem Kanal entstanden war. Zweitens bestimmte die Logik „Sicherheit – zuerst“ zunächst die allgemeine Linie für ukrainische Diplomaten, während Russland darauf bestand, zuerst politische Vorkehrungen zu treffen. Wenn es nach dem Gipfel von Paris keinen Fortschritt in dringenden Angelegenheiten geben sollte, dann fordert Moskau die Umsetzung „empfohlener“ Schritte (die Steinmeier-Formel und einen „Sonderstatus“ für besetzte Gebiete). Russlands Logik besteht in der Idee, den direkten Dialog mit den selbsternannten „Republiken“ um jeden Preis anzutreiben.
Drittens werden humanitäre Probleme auch weiterhin unter einem Mangel an Aufmerksamkeit leiden. Es gibt keinen Fortschritt hinsichtlich neuer Übertrittsstellen. Das Rote Kreuz ist noch immer nicht in der Lage, seiner Arbeit in den besetzten Gebieten uneingeschränkt nachzukommen. Außerdem haben während der Quarantäne die selbsternannten Behörden den Zugang zu ihrem Territorium komplett abgeriegelt, selbst für Menschen, die vor Ort registriert sind.
Und viertens, eines der wichtigsten Ergebnisse ist wohl das „Ende“ der Arbeit des Konsultativrats in der am 11. März vorgeschlagenen Variante. Diese Frage, die übrigens dem Ansatz Moskaus „Politik – zuerst“ entspricht, wurde während der Telefonkonferenz der Minister einfach nicht angesprochen. Der russische Außenminister Lawrow erklärte seine Position, aber keiner der anderen Diplomaten unterstützte die Diskussion. Das bedeutet nicht, dass Russland keine Versuche zur Unterstützung der Idee des „direkten Dialogs“ mehr unternehmen wird. Das bedeutet auch nicht, dass die ukrainischen Verhandler der Trilateralen Kontaktgruppe und Jermak nicht ein anderes Modell für ein Konsultativorgan vorschlagen werden. Aber es bedeutet einerseits, dass zumindest ein vorläufiges abgestimmtes Format nicht akzeptabel ist und weder von ukrainischen Diplomaten noch von den Partnern im Normandie-Format unterstützt wird. Andererseits ist eine neue Patt-Situation in der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe ziemlich wahrscheinlich geworden.
Minsker Trilaterale Kontaktgruppe – Reformbedarf?
Auch wenn es kein Konsultativorgan geben wird, dann wird Russland andere Instrumente einsetzen, um sein Hauptziel zu erreichen: die Rolle der selbsternannten Behörden in den Verhandlungen zu verändern. Eines dieser Instrumente wurde bereits von Moskau vorgestellt. Das ist eine „Reform“ der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe insgesamt. Insbesondere initiierte Moskau die maximale Formalisierung der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe mit formalen Vorschriften, der Unterzeichnung bindender Dokumente nach jedem Treffen und deren Veröffentlichung. All diese Vorschläge wurden mit einer Erhöhung der Transparenz und Wirksamkeit der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe erklärt.
Obwohl die Reform der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe für die Ukraine bereits viel früher Priorität hatte, gibt es im aktuellen Modell Russlands nichts, was Zufriedenheit hervorrufen könnte. Die Idee, die Minsker Trilaterale Kontaktgruppe zu formalisieren, beinhaltet auch Druck vonseiten Moskaus, dass alle neuen Dokumente von Pseudo-Beamten und „Autorisierten Vertretern bestimmter Regionen in den Gebieten Donezk und Luhansk“ unterzeichnet werden müssen. Dieser neue „Status“ erschien erstmals im Protokoll vom 11. März 2020, obwohl sie keine legitime Basis für eine derartige „Autorisierung“ von Pseudo-Beamten darstellten. Der bindende Status neuer Dokumente in der Trilateralen Kontaktgruppe würde außerdem die Rolle der Stellvertreter Russlands in den Verhandlungen stärken.
Die Minsker Trilaterale Kontaktgruppe ist keine internationale Organisation, genauso wie die Minsker Abkommen politische Vereinbarungen und keine internationalen Verträge sind. Dadurch ergibt sich für die Ukraine einerseits die Notwendigkeit, Russland und seine Stellvertreter zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen aus den Minsker Abkommen anzumahnen. Andererseits gibt es absolut keine Garantien, dass sie diese einhalten werden. Abgesehen davon nennt keines der Dokumente des Minsker Abkommens explizit Russland als die andere Seite im Konflikt. Dadurch formalisiert ein obligatorischer Status der Protokolle und Entscheidungen nur Russlands Forderungen nach einem direkten Dialog zwischen der Ukraine und den selbsternannten Behörden, die hier eine „aufgewertete“ Rolle zuerkannt bekommen. Bisher wurde eine derartige „Reform“ weder von der Ukraine noch von Deutschland oder Frankreich unterstützt. Dies war deshalb nicht der Fall, weil klar war, welches Ziel Russland mit derartigen Modifizierungen verfolgte.
Gleichzeitig präsentierten die Verhandlungsführer der Ukraine ihre eigene Vision von einer Reform der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe. Das beinhaltet auch eine gewisse „Restrukturierung“ für eine klarere Agenda sowie einer weiteren nationalen Umsetzung der Entscheidungen. Insbesondere Andrij Jermak kündigte an, weitere Vertreter der Ukraine in jede Arbeitsgruppe der Trilateralen Kontaktgruppe zu entsenden. Diese Vertreter werden keinen geringeren Rang als Stellvertretende Minister haben. Zusätzlich werden einige der Mitglieder des Parlaments an den Aktivitäten der Trilateralen Kontaktgruppe beteiligt sein. Es ist also das Ziel der Ukraine, die nationale Delegation zu stärken, ohne die derzeitige Zusammensetzung von Minsk zu zerstören. Höchstwahrscheinlich wird Russland keine ähnlichen Schritte unternehmen, sondern sich stattdessen zurückziehen wollen.
„Konsultationen über die Konsultationen“
Was kommt als Nächstes? Anstatt Schlussfolgerungen aus der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe zu ziehen, gibt es jetzt „Konsultationen über die Konsultationen“. Das bedeutet, dass die Verhandlungsführer der ukrainischen Seite versuchen, ein anderes Modell zu finden, das sich besser eignet, die Stimme des besetzten Donbas in die Minsker Verhandlungen einzubinden. Gleichzeitig hat die Ukraine sich nicht offiziell aus dem Konsultativrat zurückgezogen. Kyjiw erwägt ein anderes Modell, das etwa intern Vertriebene, die im kontrollierten Gebiet leben, miteinbezieht. Laut einer Erklärung der wichtigsten ukrainischen Verhandlungsführer besteht die Notwendigkeit, das Monopol der selbsterklärten Behörden für eine „Repräsentation“ des Donbas auszuhebeln. Für Konsultationen, die durch die Minsker Abkommen bereits vorbestimmt sind; mit gesetzlichen, aber nicht mit den selbst ernannten Vertretern des Donbas.
Das klingt theoretisch gut, aber beantwortet die wichtigste Frage noch immer nicht. Wie wird die zweite Seite in diesen „Fachberatungen“ besetzt? Sobald die Ukraine Vertreter aus den besetzten Gebieten nominiert (Binnenvertriebene plus weitere Experten oder Meinungsführer), wird Russland nicht einverstanden sein. Wenn Menschen, die von den selbsternannten „Republiken“ ernannt werden (wie das vom Konsultativrat vorgesehen wird), dann kehren wir ohnedies zum direkten Dialog mit Stellvertretern Russlands zurück. Selbst wenn diese Menschen als „Zivilisten“ oder „zivile Aktivisten“ präsentiert werden, so stehen sie immer im direkten Kontakt mit den selbsternannten Behörden. Niemand von russischer Seite würde die Teilnahme unabhängiger Personen im Namen des besetzten Donbas zulassen. Deshalb ist aktuell die wichtigste Aufgabe, die Nominierung von „Vertretern“ durch oder in Abstimmung mit den selbsternannten Beamten zu verhindern.
Ein neues Format für die Konsultationen mit „Stimmen“ aus dem besetzten Donbas sollten nicht nur zwischen der Ukraine einerseits und den „Volksrepubliken“ andererseits stattfinden. In dieser Hinsicht gibt es mehrere mögliche Optionen. Zunächst geht es darum, die derzeitige ukrainische Delegation der Ukraine bei der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe mit von der Ukraine nominierten Experten zu „stärken“. Ein weiteres Mitglied der Gruppe, Russland, könnte dieselbe Option für die Teilnahme von Experten nutzen. Außerdem könnte man Expertenplattformen einsetzen, welche die Zusammensetzung der Trilateralen Kontaktgruppe spiegeln. Dadurch wären nur die Delegationen der Ukraine und Russlands vollwertige Mitglieder. Vertreter aus bestimmten Gebieten werden eingeladen. Die dritte Option wurde vom Zivilrat unter der Schirmherrschaft des Außenministeriums der Ukraine vorgeschlagen. Dabei geht es insbesondere um die Schaffung eines unabhängigen beratenden Ausschusses durch die Ukraine. Das wird es der Ukraine ermöglichen, all jene Zivilisten, Binnenvertriebene sowie Experten, die die besetzten Gebiete verlassen haben, oder die professionell an Konfliktlösungen arbeiten, einzubeziehen.
Eine endgültige Entscheidung wurde von der ukrainischen Delegation bisher nicht getroffen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist immer noch hoch, dass ein gewähltes Format, in dem die „Vertreter“ des besetzten Donbas de-facto von den Pseudo-Republiken nominiert werden, eingesetzt wird.
Aus dem Englischen übersetzt von Ingrid Müller.